Mentale Stärke im Tennissport

Michael Berrer war viele Jahre auf der ATP Tour und besiegte sogar Rafael Nadal. Heute ist er Unternehmenscoach und Sportpsychologe. Wir hatten die Chance auf eine Interview mit Michael Berrer rund um das Thema "Mentale Stärke".

Unser Interview mit Michael Berrer

23.07.2022 - Technik, Kondition und Beweglichkeit sind für den Tennissport wichtig, gar keine Frage. Die mentale Stärke entscheidet aber in vielen Matches über Sieg oder Niederlage. Michael Berrer war viele Jahre auf der ATP Tour und sammelte einen großen Erfahrungsschatz im Feld der Sportpsychologie. In unserem Interview verrät er wertvolle Tipps die auch Dein Spiel besser machen. 

Über Michael Berrer

Bereits mit 7 Jahren begann der 1980 in Stuttgart geborene Michael Berrer Tennis zu spielen. 1999 startete er seine Profikarriere beim TC Reutlingen. Den ersten Titel auf der ATP Tour sicherte es sich an der Seite von Rainer Schüttler im Doppel bei der BMW Open 2008. Das erste ATP Einzelfinale erreichte er 2010 in Zagreb und unterlag dort knapp in 3 Sätzen Marin Cilic. 

In seiner Karriere stand er nicht nur mit Tennisgrößen wie Andy Murray und Marcos Baghdatis auf dem Court sondern konnte auch einige Top 10 Spieler wie Tomas Berdych oder Rafael Nadel bezwingen. 

Nach Master-Abschluss in Sportpsychologie ist Michael Berrer im Bereich Mental-Coaching und Change-Management tätig und gibt sein Wissen in Vorträgen, Kundenevents und Coachings an interessierte Personen weiter über sein Unternehmen MB-A weiter.

TABB:

Freut mich, dass wir uns ein wenig zum Thema Psychologie im Tennissport austauschen können. Bei den Profis ist Sportpsychologie ein wichtiger Bestandteil, warum wird dem Thema im Hobbysport keine so große Bedeutung beigemessen?

 

Michael Berrer:  

Selbst im Profisport muss man ganz ehrlich sagen, ist das Thema noch nicht so angekommen wie ich es mir wünschen würde. Es gibt natürlich Profis die hier voran gehen und sich über den mentalen Aspekt bewusst sind. Häufig jedoch wird es erst zum Thema, wenn im übertragen Sinne „die Hütte brennt“ und bereits Probleme bestehen. Wir allen wissen, und das gilt auch für Hobbyspieler, Tennis ist zu 80% ist Kopfsache. Profis wie Matteo Berrettini und Iga Świątek haben das erkannt und nutzen schon seit dem Jugendtraining Sportpsychologen und Mentaltrainer. Ich finde es wichtig hier Grundlagen zu legen. Jedes Wochenende sehen wir, wie auf den Anlagen in ganz Deutschland Schläger geworfen werden, geschimpft wird und negativ aufgetreten wird. Das zeigt, dass viele die Basics nicht verstanden haben, nämlich wie man mit negativen Emotionen umgeht und wie man es schafft sein bester Freund auf dem Platz zu werden. Dann gelingt es auch Spaß zu haben und gute Leistungen abzurufen.

 

 

TABB:

Wie sollten Freizeitspieler das Mentale Training in ihren Trainingsablauf integrieren? Gehört es auf den Court oder muss das vor dem Training passieren?

 

Michael Berrer:  

Das lässt sich so pauschal nicht wirklich sagen. Die Problematik ist, dass wir alle ambitioniert sind und so gut als irgend möglich „performen“ möchten. Oft geht man dann schon gestresst auf den Platz und kann nicht das tatsächliche, spielerische Leistungsvermögen abrufen. Ich selbst mache vor jedem Match Meditationsübungen um meinen persönlichen Fokus zu finden und den Stress hinter mir zu lassen. Nicht jeder Freizeitsportler wird Mentaltraining machen aber es wäre absolut wichtig den Spaß in den Vordergrund zu stellen und nicht den Faktor Stress. Eben genau diesen „turnaround“ zu schaffen ist schon der Beginn von Mentaltraining.

 

 

TABB:

Während des Matches hängt man oft in einem innerlichen Selbstgespräch fest. Häufig drehen sich die Gedanken um Dinge die nicht so gut laufen. Wie kann man im Match vorgehen um sich selbst mental eher zu unterstützen?

 

Michael Berrer: 

Das ist eine durchaus komplexe Frage die ich gerne mit einem Beispiel aus meiner aktiven Zeit beantworten möchte. Als Profi habe ich viel mit Rafael Nadal trainiert. Ich habe ihn gefragt „Wer ist den Dein Mentaltrainer, mit dem würde ich gerne arbeiten“. Nadal sagte mir er hätte eigentlich keinen Mentaltrainer sondern sein Umfeld das viel Wert auf Achtsamkeit legt. Jedes Mal, wenn Ärger oder Stress kommen, wirkt er dagegen und versucht grundsätzlich positiv zu bleiben.

Dies übt Nadal täglich in jedem Training. Verschlägt er eine Vorhand, kommt auch bei ihm der Impuls den Schläger zu werfen oder zu schimpfen. Nadal gibt dem jedoch nicht nach, sondern sieht dies als Chance des Trainings für seine mentale Einstellung. Das ist an dieser Stelle auch mein Tipp: Nutzt das tägliche Training um die mentale Einstellung zu trainieren. Zuerst steht immer die Achtsamkeit, das Erkennen der „kritischen“ mentalen Situation und dann folgt das aktive Gegensteuern. Oft ist dies einfach nur ein gutes und aufbauendes Wort zu sich selbst.

 

 

TABB:

Sich der mentalen Situation bewusstwerden und Gegensteuern sind also wichtige Aspekte. Ganz sicher gilt dies auch für die Körpersprache. Wie wichtig ist dies aus Ihrer Sicht?

 

 

Michael Berrer:  

Das passt an dieser Stelle sehr gut. Auch hier kann jede*r auf sich selbst achten. Wie bewege ich mich, bin ich aufrecht oder lasse ich den Kopf hängen? Wenn der Schlägerkopf nach unten hängt, dann senkt sich meist auch der Kopf des Spielers. Das wäre alles andere als eine gute Körpersprache. 

 

„Deshalb Schlägerkopf oben halten, Kopf oben halten! Das sind die ersten Schritte um sich selbst und dem Gegner zu zeigen, dass man immer positiv ist.“ 

Michael Berrer über das Verhalten auf dem Platz

 

Mein Tipp ist der Dialog mit Mitspielern oder Trainingspartnern. Geht auf euer Umfeld zu und holt euch eine Einschätzung zu eurem Auftreten ein. So bekommt jede*r ein gutes Feedback wie man auf dem Platz wirkt und kann danach an sich selbst arbeiten.


 

TABB:

Auf dem Court ärgert man sich häufig über den Gegner der Bälle aus gibt die vermeintlich „in“ waren oder über Zuschauer die einen stören. Wie schafft man es dies komplett auszublenden und nur bei sich zu bleiben?

 

Michael Berrer: 

Tennis ist im Grunde nichts anderes als die Suche nach Lösungen. Der Gegner der Bälle aus gibt die eventuell gut sind oder das Publikum sind Teil dieser Problemstellung. In einem Match gibt es viele solche Herausforderungen. Der erste Aufschlag kommt nicht oder die Rückhand funktioniert nicht wie sie sollte. Mein Tipp wäre nicht in dieser Problemstellung zu verharren, sondern die Situation erst mal zu erkennen und zu akzeptieren. Ist das Geschehen mache ich mich auf die Suche nach Lösungen. Was kann ich tun um mit der Situation klar zu kommen. Am Ende hilft es am besten sich auf seine eigenen Spielzüge zu konzentrieren. Die Frage ist doch immer: Was kann ich tun um den nächsten Punkt zu gewinnen.

 

 

TABB:

Bei Verbandspielen tritt eine Mannschaft an. Im Einzel „coacht“ dann oft der Mannschaftskollege. Welche Tipps könnten Sie geben, wie der/die Teamkolleg*in am besten in einer Matchsituation psychologisch unterstützt kann?

 

Michael Berrer:  

Die Frage die sich stellt ist doch: „Habt Ihr Euch als Team schon mal gegenseitig abgestimmt wie ihr gecoacht werden wollt?“. 

 

„Aus meiner Sicht wird darüber viel zu wenig gesprochen. Ein schlichtes an den Platz laufen und „Kämpf mal“ rufen ist kein sinnvolles Coaching.“

Michael Berrer über Coaching bei Verbandsspielen 

 

Sprecht mit euren Teamkollegen und klärt vorab wie Ihr selbst gecoacht werden wollt. Klärt ab wer welche Bedürfnisse in welcher Situation hat. Nur so könnt ihr eure Mitspieler besser coachen. Das sorgt nicht nur für ein besseres Teamgefühl sondern auch für eine allgemein positivere Grundhaltung.

 

 

TABB:

Wie wäre es denn hier feste Zuordnungen zu finden? Also Spieler A im Team coacht immer Spieler B beim Verbandsspiel.

 

Michael Berrer:  

Grundsätzlich sind feste Zuordnungen keine schlechte Idee. Man darf allerdings nicht vergessen, dass dies für den Spieler in Runde 2 durchaus schwierig werden könnte. Beim ersten Match 90 Minuten auf der Bank zu sitzen, zieht auch viel Energie, die der Spieler ja für sein eigenes Match benötigt. Deshalb wäre mein Tipp hier, dass möglichst immer noch ein Betreuer das Team begleitet. Es ist also durchaus eine gute Idee mit 1-2 Leuten mehr als nötig zu einem Verbandsspiel zu gehen.

 

 

TABB:

Uns interessiert noch die folgende Wechselwirkung. Ist man psychologisch stark weil man gut spielt, oder spielt man gut, weil man mental stark ist? Gibt es überhaupt eine Komponente die im Vordergrund steht?

 

Michael Berrer:  

Ich würde über mich selbst sagen, dass man mir nicht ansieht wie der aktuelle Spielstand meines Matches ist. Wichtig ist nur, dass wenn es nicht gut läuft, wenn der Zwischenstand schlecht ist oder ein Satz deutlich verloren wurde, dann kommt der Moment indem man sich selbst am stärksten „pushen“ sollte. Wie das dann ausschaut ist von Person zu Person individuell. Die Faust oder ein „Come on“ sind hier nicht nur Motivation an einen selbst sondern auch Zeichen an den Gegner, dass man noch da ist und an den Erfolg glaubt. Ich würde den mentalen Zustand also nicht immer vom Spielstand abhängig machen sondern versuchen umgekehrt an die Sache ran zu gehen. Grundsätzlich sich selbst immer sagen: „Ich hab es in der Hand das Spiel zu gewinnen egal wie es steht“.

 

 

TABB:

Sie beschreiben das sehr gut. Egal bei welchem Spielstand es ist wichtig immer positiv zu bleiben. Ist das auch der Weg um mit Niederlagen nach einem Match umzugehen?

 

Michael Berrer:  

Das ist ein gutes Thema. Oft sitzt die Mannschaft nach einem verlorenen Verbandspiel zusammen und lässt sich vom negativen Ergebnis noch „runterziehen“. Hier kann jeder selbst aber auch das gesamte Team durchaus besser vorgehen. Mein Tipp ist sich alleine oder im Idealfall mit einem Teamkollegen nach dem Match, zum Beispiel nach dem Mannschaftsessen, zusammen zu setzen und aufzuschreiben was lief gut, was kann besser werden und was kann ich jetzt im nächsten Schritt bei der nächsten Trainingseinheit üben? Das Ganze dauert nicht lange und man setzt sich ein aufgabenorientiertes Ziel und kann schon in der Woche drauf beim nächsten Verbandsspiel versuchen die gewonnenen Erkenntnisse einzubringen.

 

 

TABB:

Welche Aufgabe kommt aus Ihrer Sicht den Vereinen selbst zu? Sollten Clubs neben dem klassischen Tennis Training auch ein sportpsychologisches Training dauerhaft in ihr Angebot aufnehmen oder sollten die Tennistrainer das eher „on Court“ machen? 

 

Michael Berrer:  

Ich finde die Frage interessant. Mentale Stärke kommt nicht von alleine. Diese muss man sich aneignen, genauso wie eine gute Vorhand oder Rückhand. 

 

„Eigentlich sollten alle Vereine 1-2 mal im Jahr einen kleinen Workshop zu diesem Thema anbieten.“ 

Michael Berrer über die Aufgabe der Vereine 

 

 

In der heutigen Zeit geht das ja auch sehr gut virtuell. Gerade vor der Saison oder im Winter hält das auch die Motivation hoch. Dies würde sicherlich allen Spieler*innen helfen. Zudem rückt das Thema ein wenig mehr in den Fokus. Mentales Training fördert nicht nur den Spaß am Tennis sondern auch die Leistung. Hinzu kommt ein zweiter wichtiger Aspekt, der Verein hat die Möglichkeit über mentales Training eine eigene Kultur zu etablieren. So z.B. wir kommen vorbereitet zum Training, wir werfen keine Schläger, wir schreien oder schimpfen nicht rum, wir beleidigen keine Gegner, wir betrügen in Matches nicht. Mentales Training wird damit zu einer Vereinsphilosophie. 

 

 

TABB:

Abschließend noch eine Frage zur Ihrem Match gegen Rafael Nadal 2015. Sie haben damals den ersten Satz mit 1:6 verloren und das Match am Ende doch mit 2:1 Sätzen gewonnen. Was war nach dem ersten Satz schwieriger, mental den Glauben zu behalten es noch gewinnen zu können oder körperlich dagegen zu halten?

 

Michael Berrer:  

Beides war sicher eine Herausforderung. Mental positiv zu bleiben war für mich gar nicht so schwierig da ich das eingeübt hatte und immer ein Spieler war der bis zum Schluss „gebissen“ hat. Nochmals schwierig war die Situation auf der Bank beim Spielstand von 5:4. Toller Abend in Doha, viele Zuschauer im Stadion, noch 10 Sekunden und man darf zum Matchsieg gegen Rafael Nadal servieren. Das ist schon was Besonderes. Ich hatte in diesem Moment mehrere Gedanken. Wenn ich das jetzt gewinne wird das der größte sportliche Erfolg meiner Karriere und das kann ich meinen Kindern erzählen oder es später auch beruflich nutzen. Positive Gedanken also, dennoch stand es nach wenigen Momenten 15:40.

Auch hier ging es um Achtsamkeit. Die Situation feststellen, sich über die Atmung etwas beruhigen. Dann lag der Fokus wieder auf dem was nötig ist, den nächsten Punkt zu gewinnen.

Obwohl es die Angst vor dem Gewinnen zweifelsfrei gibt und ich mich auch in meiner Masterarbeit genau mit diesem Thema beschäftigt habe, war an dieser Stelle der Wille unbedingt gewinnen zu wollen stärker. Ich konnte es dann durchservieren und habe das Match gewonnen. Dieses Beispiel zeigt aber auch sehr gut wo der Fokus liegen muss. Immer beim nächsten Punkt. Immer im hier und jetzt zu bleiben und sich auf den nächsten Spielzug zu konzentrieren.





Erfolge 

Michael Berrer

  • 11 Turniersiege auf der Challenger Tour
  • 2 ATP Finalteilnahmen im Einzel (Zagreb)
  • 6 Teilnahmen bei der Australien Open 
  • 5 Teilnahmen bei der French Open
  • 6 Teilnahmen beim Turnier in Wimbledon
  • 7 Teilnahmen bei der US Open
  • Turniersieg mit Rainer Schüttler beim ATP Turnier in München
  • 2 Finalteilnahmen in Doppel beim ATP Turner in Stuttgart und Peking
  • 3 Satz Sieg beim ATP Turnier in Doha 2015 gegen Rafael Nadal (damals Position 3 der Weltrangliste)

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